Clusterfuck

von Klaus Grill

8.10.`21


Angestachelt vom Versprechen auf gigantische Gewinne durch autonomes Fahren, schießen seit Jahren Experten für Personennahverkehr™ wie Pilze aus dem Boden und schwadronieren von Vernetzung, intelligenten Systemen und von "Mobility". Und das ausgerechnet in unserem verschlafenen Digital-Neuland.

In wenigen Tagen, genauer gesagt vom 11 - 15.10.`21 findet nun der "ITS Weltkongress 2021 - Mobilität der Zukunft in Hamburg" statt.

Beim ITS Weltkongress handelt es sich um das weltweit größte Leitevent zu intelligenten Verkehrssystemen und -diensten.

Initiator dieses Kongresses und Erfinder des Denglischen Wortes "Leitevent" ist die Firma ITS Mobility mit Sitz in Palo Alto, Kalifo… ach nein, Moment, die Firma ist in der Hermann-Blenk-Straße 18 in Braunschweig angesiedelt, ganz in der Nähe der - ähm - Flugunfalluntersuchungsstelle, bequem zu erreichen mit den Buslinien 436 und 413.

Laut Selbstauskunft auf der Website ist die ITS Mobility GmbH:

Das größte Kompetenzcluster für intelligente Mobilität in Deutschland. Dem gemeinnützigen Verein mit Sitz am Forschungsflughafen in Braunschweig gehören mehr als 200 Mitglieder aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden, Städten und Gemeinden an.

Man ist offenbar gleichzeitig eine GmbH und ein gemeinnütziger Verein, was einen erstmal verwundert, aber vielleicht ist das ja mit "Kompetenzcluster" gemeint 🤷🏻‍♂️

Natürlich sind Prognosen immer schwierig, besonders, wenn es um die Zukunft geht, aber eine andere Perspektive auf die schöne, neue Mobility-Welt, wäre die des Clusterfucks.

Ein Clusterfuck ist laut Stanford-Professor Bob Sutton ein Debakel oder eine Katastrophe, die durch ein tödliches Gebräu aus Illusionen, Ungeduld und Inkompetenz verursacht wurde, das zu viele Entscheidungsträger betrifft, insbesondere diejenigen in mächtigen, selbstbewussten und angesehenen Gruppen. Oder laut Definition von Holm Friebe, Autor des gleichnamigen Buches entsteht ein "Clusterfuck" in hyperkomplexen Systemen durch deren Anfälligkeit für Resonanzkatastrophen aufgrund hoher Vernetzungdichte und fataler Rückkopplungen. Beispiele hierfür wären die Finanzkrise, der Brexit, jedes Digitalprojekt der Bundesregierung oder der BER.

Was uns als perfekt choreographierte Zukunftswelt präsentiert wird, die immer noch schon Morgen Realität sein wird, hier gleich um die Ecke, hat eine Reihe von Merkmalen für einen Clusterfuck. Illusionen, Ungeduld, Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, hohe Vernetzungsdichte in einem chaotischen System und Hyperkomplexität.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat eine dritte, sehr viel konkretere Perspektive. Für ver.di ist der "ITS Weltkongress 2021 - Mobilität der Zukunft in Hamburg":

Eine Leistungsschau der Rationalisierungsindustrie in Verkehr und Transport.


Die Auswirkungen auf Arbeitsplätze im gesamten Transportsektor und die sozialen Sicherungssysteme der Stadt werden laut Ver.di in dieser tollen, neuen Zukunftswelt keine Rolle spielen. Deshalb ruft Ver.di Hamburg

am 11. Oktober um 16:30 vor dem CCH zu einer Kundgebung auf, in der die Beschäftigten ihre Sicht auf die Auswirkungen auf ihre Arbeitsplätze und -bedingungen und ihre Forderungen für gute Arbeit in Verkehr, Transport und Logistik darstellen werden.


Hamburger Taxifahrer hatten in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen mit Ver.di gemacht. Zu kleinteilig ist unser Gewerbe, zu unsolidarisch und zu vielfältig, um bei Ver.di bequem in eine der vorhanden Schubladen zu passen. Zaghafte Annäherungsversuche versandeten.

Da es aber um die industriell organisierte und von der Politik geförderte Auslöschung von Existenzen im Personen- und Gütertransport ganz allgemein geht, könnte es lohnend sein, sich die Veranstaltung von Ver.di am Montag, 11.10.21 um 16:30 vor dem CCH anzutun.

Ach ja - und eigentlich sollte der ITS ja so eine Art Oscarverleihung für MOIA werden. Zeit, das alte BS-O-Meter raus zu kramen

travis bickle